Von kosmisch-göttlicher Ordnung zur Museumssammlung? Eine Meistererzählung als Wissensordnung
Vortrag im Rahmen der Konferenz „Wissen ordnen und entgrenzen – vom analogen zum digitalen Europa?“
Datum:
16.03.2022 bis 17.03.2022Ort:
Hybrid-Veranstaltung
Die Tagung richtet sich an ein wissenschaftlich interessiertes Fachpublikum. Bei Interesse senden Sie eine E-Mail an info [at] ieg-mainz.de (info[at]ieg-mainz[dot]de).
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Dr. Joëlle WeisGanz im Sinne der Wunderkammern und ihrem Anspruch, die Welt "im Kleinen" abzubilden, eignet sich die Erforschung von Sammlungen hervorragend, um auf komprimierte Weise unterschiedliche Wissenssysteme und deren Aushandlung zu beobachten. Historische Sammlungsforschung untersucht, wie Wissensordnungen entstehen, sich etablieren und wandeln: Sammlungen als solche verändern über die Jahrhunderte hinweg ihre Zusammensetzung und Funktion; der Blick auf einzelne Objekte zeigt, wie diese je nach Zeit, Ort und Kontext ganz unterschiedliche Bedeutung annehmen können.
Die Geschichte des Museums, wie wir sie heute meist erzählen – von der privaten und exklusiven Wunderkammer zum öffentlichen Ort mit gesellschaftlicher Relevanz – ist aber auch auf einer weiteren Ebene eine perfekte Fallstudie für eine Diskussion um Wissensordnungen und deren Funktionen. Das Narrativ, das vormoderne Objektsammelsurien mit vermeintlich modernen und geordneten Sammlungsformen kontrastiert, taucht bereits im 18. Jahrhundert auf und ist eng an Vorstellungen von Aufklärung und Rationalität geknüpft. Damit ging eine doppelte Abgrenzung gegenüber den eigenen Vorgängern und außereuropäischen Kulturen einher, die sich im 19. Jahrhundert durch die Instrumentalisierung der Sammlungen im Sinne der Nationenbildung noch verstärkte. Wenngleich die Erzählung einer solchen linearen Sammlungsentwicklung in den letzten Jahren vereinzelt infrage gestellt wurde, hält sich die Perspektive in der Sammlungsforschung hartnäckig. Im Vortrag wird daher auch das Sprechen über diese Ordnung analysiert und der Frage nachgegangen, inwiefern es sich bei dieser Art der Meistererzählung um eine eigene Form der Wissensordnung handelt, die an sich ein wesentlicher Baustein europäischer Selbstvergewisserung ist. Darüber hinaus wird diskutiert, wie gerade in aktuellen sammlungstheoretischen Debatten und besonders vor dem Hintergrund postkolonialer Theorien unserer Narrativ infrage gestellt wird. Dies wird zusätzlich verstärkt durch neue und innovative Formen der (digitalen) Präsentation von Wissensbeständen. Uns wird zunehmend bewusst, wie die vermeintlich universale Wissensordnung Differenz schafft, womit letztlich auch fundamental am europäischen Selbstverständnis gerüttelt wird.