Stefan Heyms „Ahasver“ digital

Dreijähriges Pilotprojekt des Trier Center for Digital Humanities und der TU Chemnitz zu einer digitalen historisch-kritischen Edition geht an den Start

11.05.2021 | Pressemitteilungen, Projektnews

Mit dem Projekt „Stefan Heym: Ahasver“ wurden dem Trier Center for Digital Humanities und der TU Chemnitz Forschungsmittel für ein Pilotprojekt zu einer digitalen historisch-kritischen Edition von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligt.
Stefan Heym

"Haagse Treffen", a European conference for writers in the Kurhaus in Scheveningen; Stefan Heym, Marcel Antonisse / Anefo - Nationaal Archief

Das Leben und Werk Stefan Heyms

Der als jüdischer Kaufmannssohn in Chemnitz geborene und aufgewachsene Schriftsteller Stefan Heym (1913–2001) bildet einen der kulturellen Leuchttürme der Stadt Chemnitz. Gemessen an der Relevanz, die Heym im publizistisch-literarischen, gesellschaftlichen und politischen Leben einnahm und heute mehr denn je wieder einnimmt, überrascht es, dass sein Oeuvre – ganz im Unterschied zu anderen namhaften Autoren des 20. Jahrhunderts, deren Werk längst umfassend erschlossen ist oder zumindest partiell in kommentiert-kritischen Ausgaben vorliegt – bisher eher stiefmütterlich behandelt wurde. Um die Pflege seines Werks, das weit über die Grenzen Deutschlands hinaus strahlt, bemühen sich vor Ort in Chemnitz insbesondere die „Internationale Stefan-Heym-Gesellschaft“, die „Stadtbibliothek Chemnitz“, wo unlängst das Stefan-Heym-Forum mit der Arbeitsbibliothek des Autors eröffnet wurde, sowie die Professur „Neuere Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft“ der TU Chemnitz. Nun konnten die Inhaberin der Professur, Prof. Dr. Bernadette Malinowski, und ihr Mitarbeiter PD Dr. Christoph Grube in Kooperation mit dem Geschäftsführer des Trier Center for Digital Humanities (TCDH), Dr. Thomas Burch, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erfolgreich Mittel für ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Stefan Heym: ‚Ahasver‘ – Pilotprojekt zu einer digitalen historisch-kritischen Edition“ einwerben.

Der Roman „Ahasver“

Das Pilotprojekt besteht aus einer digitalen historisch-kritischen und kommentierten Ausgabe des Romans „Ahasver“. Der erstmals 1981 veröffentlichte Erzähltext formuliert einen Gegenentwurf zu der legendenhaften Überlieferung des ‚ewigen Juden‘ Ahasver. In Heyms alternativer Deutung erscheint Ahasver nicht als religiös motivierter Verräter an Christus, sondern als Engel mit der historisch diesseitigen Botschaft einer Weltverbesserung durch menschliches Handeln. Der auf drei Zeitebenen angelegte Roman (eine spielt kurz nach der Schöpfung, eine in der Reformationszeit, eine in den Jahren 1979–1981) ist aufgrund seiner intertextuellen Bezüge und seiner zahlreichen zeitgenössischen Anspielungen z.B. auf die DDR-Verhältnisse für den heutigen Leser nicht mehr ohne Weiteres verständlich. Der Nachlass Stefan Heyms Stefan Heym übergab seine Materialsammlungen, seine Vorarbeiten und Manuskripte noch zu Lebzeiten dem Archiv der „Cambridge University Library“, wo die ca. 5.000 Seiten umfassenden Materialien zu „Ahasver“ nun digital fotografiert und damit die Voraussetzungen geschaffen werden, den Nachlass für eine digitale historisch-kritische Ausgabe aufzubereiten und erstmals im Open Access einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Starke Unterstützer:innen hat das Vorhaben in Inge Heym, der Witwe des Schriftstellers und Publizisten, sowie in Sebastian Ritscher, dem Literaturagenten Stefan Heyms, dem Vorstand der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft sowie in Thomas Rathnow, dem CEO der Verlagsgruppe Random House. Rathnow unterstreicht: „Ohne deren Placet, insbesondere das Einverständnis von Frau Heym, hätten wir dieses Projekt erst gar nicht in Angriff nehmen können. Wir hoffen natürlich sehr, dass dieses für die Dauer von drei Jahren geförderte Vorhaben den Auftakt für eine künftige Gesamtedition des belletristischen und publizistischen Werks von Stefan Heym bildet. Aber soweit wagen wir noch gar nicht zu denken, zumal damit immer auch schwierige Urheberrechtsfragen verbunden sind.“

Weltweit verfügbar, durchsuchbar und multiperspektivisch

Dem Vorhaben kommen insbesondere die jahrelange Beteiligung des TCDH am Projekt „Arthur Schnitzler digital (ASd)“ zugute. Die hier entwickelten Strategien zur Auszeichnung materieller Eigenschaften der Überlieferungsträger, der Modellierung der Werkentstehungsgeschichte sowie der Erfassung von Schreibprozessen lassen sich auf die Heym-Edition übertragen. So stellt die Position handschriftlicher Ergänzungen und Änderungen auf dem Textträger ebenso ein bedeutungstragendes und dementsprechend auszuzeichnendes Element dar wie die Erfassung der Texttopographie und deren Zuordnung zu genetischen Textstufen und Korrekturschichten. Für die Heym-Edition kommen daher die in digitalen Editionsvorhaben bewährten Systeme wie die virtuelle Forschungsumgebung „FuD“, das interaktive Transkriptionswerkzeug „Transcribo“ oder die Kollationierungsumgebung „Comparo“ zum Einsatz. Diese vom TCDH-Team entwickelten Werkzeuge bieten eine Vielzahl an Funktionalitäten zur Transkription und Datenerfassung, ‑annotation, ‑analyse sowie ‑aufbereitung bis hin zur Publikation und Archivierung. Hinsichtlich der Online-Publikation der Forschungsergebnisse wird ebenfalls auf bewährte Konzepte und Technologien moderner Web-Applikationen gesetzt, wie sie durch das TCDH entwickelt werden, um auch die Langlebigkeit digitaler Publikationen gewährleisten zu können. Es entsteht somit eine weltweit und jederzeit verfügbare, digital durchsuchbare und multiperspektivische Edition von Stefan Heyms Roman „Ahasver“.

Weitere Informationen: Dr. Thomas Burch


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