Vortrag von Dr. Joëlle Weis: "Akademische Prekarität zwischen Vormoderne und Moderne"

im Rahmen des 54. Deutschen Historikertag an der Universität Leipzig

Gelehrter in seinem Arbeitszimmer

Datum:

20.09.2023

Ort:

19. – 22.09.2023, Universität Leipzig

Vortrag von Dr. Joëlle Weis:
20.09.2023, 13:00–15:30 Uhr

Kategorie(n):

Tagung

Kontakt:

Dr. Joëlle Weis
Prekarität ist ein Begriff der Soziologie des 20. Jahrhunderts, der für die Verhältnisse moderner Industriegesellschaften geprägt wurde. Aus historischer Perspektive ist also zu klären, inwieweit der Begriff auf vormoderne Verhältnisse anwendbar ist, und wie er für das akademische System der Vormoderne analytisch nutzbar gemacht werden kann.

Ziel der Sektion ist es, das Verhältnis von akademischer Arbeit und Prekarität und damit Mechanismen der In- und Exklusion und ihre Folgen für den wissenschaftlichen Betrieb historisch zu beleuchten. In der aktuellen wie in der historischen Diskussion gilt es, die Frage zu beantworten, ob Prekarität ein notwendiger Bestandteil des universitären Komplexes und damit des Wissenschaftssystems ist, oder ob sie als Ergebnis kontingenter historischer Entwicklungen gesehen werden muss, die sich pfadabhängig stabilisierten. Dafür ist der Blick über die longue durée unverzichtbar. Hier sollen explizit die Verlierer:innen, die Ausgeschlossenen und Marginalisierten des akademischen wissenschaftlichen Betriebs in Mitteleuropa zwischen Vormoderne und Moderne in den Blick genommen werden. Die Konkurrenz um die immer begrenzten Ressourcen, die gesamtgesellschaftlich für Tätigkeiten einer ‚gelehrten` Natur bereitgestellt wurden, führte zu Konflikten.  Diese dienten der Demarkation einer universitären Sphäre derer, die von ihrer Bildung leben konnten. Dabei wurde verhandelt, wer qualifiziert sei, eine solche Tätigkeit auszuüben, und wie sich unter diesen Bedingungen sozialer Status erreichen und behaupten ließ. Mit der Institutionalisierung eines meritokratischen Anspruchs wurde eine wettbewerbliche Selektion möglich; sie war und blieb aber keinesfalls die einzige Möglichkeit, Ab- und Ausgrenzungen vorzunehmen. Der unsichere Status von Universitätsangehörigen war aber meist nicht nur in Bezug auf die Zugehörigkeit zur Universitas, sondern auch in anderer Hinsicht sozial oder ökonomisch prekär, wobei sich beides gegenseitig verursachen wie auch wechselseitig bedingen oder verstärken konnte. Wer und wie viele waren die Betroffen? Wie wichtig waren sie für das Funktionieren und Weiterbestehen des Systems? Gibt es strukturelle und institutionelle Kontinuitäten zur gegenwärtigen Situation und kann die historische Rückschau zur aktuellen Debatte rund um #IchbinHanna beitragen?


Schlagworte: Dissemination und Community Building in den DH / Wissensaustausch